In einem festen Engagement hat man wenig Einfluss auf den Spielplan und so
ergibt sich zwangsläufig diese Vielseitigkeit. Dabei hatte ich oft das
Glück, dass die Verantwortlichen mit Weitsicht die richtigen Rollen für mich
im Blick hatten.
In Wuppertal verdanke ich Holk
Freytag, Friedrich Meyer-Oertel, Dr. Peter Gülke und Ludwig Baum sehr viel
für meine kontinuierliche Rollenentwicklung vom Cherubino bis zum Octavian.
Dasselbe gilt jetzt in Lübeck Roman Brogli-Sacher und Marc Adam für ihr Vertrauen
in meine dramatischen Fähigkeiten.
Apropos Grenzen: Jetzt sage ich Ihnen etwas,
was ich noch keinem gesagt habe. Ich habe von Anfang an immer an mir
gezweifelt und geglaubt, ich sei nicht geschaffen für diesen Beruf. Ich hatte
als Jugendliche extreme Probleme mit meiner Wirbelsäule. Und was braucht
man beim Singen? Man braucht eine gerade Luftsäule. Bei mir war sie aber
eher schief. Das war mit ein Grund für meine ständige Unsicherheit, selbst die besten Kritiken konnten mich nicht
vom Gegenteil überzeugen. Speziell, wenn ich Herausforderungen hatte, bei
denen ich dachte: „Das schaff ich nie!“, habe ich ganz wilde Abstürze
erlebt, richtige Depressionen. Dann konnte ich zwei oder drei Monate lang
nicht mal „Alle meine Entlein“ singen. Am Anfang war das schrecklich, aber
ich habe die tolle Erfahrung gemacht, dass diese ach so harte Theaterwelt
dafür Verständnis gezeigt hat. Ich habe nur Reaktionen gehört wie: „Lass‘
Dir Zeit! Denke nicht ans Theater!“ Inzwischen kann ich damit umgehen und
ich denke, dass ich nicht die Einzige bin, die so etwas erlebt hat . Die
meisten glauben aber, dazu besser schweigen zu müssen, weil es nicht in den Opernbetrieb passt,
in dem man immer zu funktionieren hat.
Ist das auch der Grund dafür,
dass Sie immer noch in Lübeck singen, obgleich Sie das Potenzial haben,
freischaffend und auch in größten Häusern Karriere zu machen?
Ja hier bin ich geschützt und dankbar dafür,
dass ich unter optimalen Bedingungen meinen Fachwechsel geschafft habe, in
so wunderbaren Produktionen, mit so
guten Regisseuren wie Didier v. Orlowsky, Anthony Pilavachi und Jakob
Peters-Messer unter der musikalischen Leitung von Roman Brogli-Sacher, der
mich nie unter Druck gesetzt hat und vor einem Publikum, das unser Ensemble
auf Händen trägt.
Auch auf Grund meiner familiären Wurzeln bin ich
ein Ensembletyp. Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich alleine durch
die Welt kutschieren müsste und mit meinem Mann und meinem 10-jährigen Sohn
nur per Telefon Kontakt hätte.
Übernehmen Sie eine
Rolle lieber, weil Sie der Typus interessiert, der Mensch, den Sie
interpretieren, oder weil Ihnen die Partie musikalisch in der Kehle liegt
und zu Ihnen passt.
Sowohl als auch, aber ich muss vor allem
wissen, dass ich etwas wirklich verkörpern kann. Und das hängt natürlich
stark von der Regie ab. Nehmen wir den Lübecker „Tristan“ in der Regie von
Didier von Orlowsky. Das war toll für mich! Auch in Hannover hat mir die
Arbeit mit Joachim Schlömer Spaß gemacht, weil die Personenregie so stark war. In einer dritten Inszenierung ging aber
die Regie so meilenweit an meiner Seele vorbei, dass mir wirklich die
Stimme wegblieb. Ich hatte mich drauf gefreut, hatte die Brangäne ja drauf
und sagte mir „Wow, das wird sicher gut!“ Aber wir Sänger waren so isoliert,
jeder für sich. Ich fühlte mich wie auf einem falschen Planeten. Und dann
habe ich mir gesagt: „Sing doch einfach nur und vergiss das Drumherum.“
Aber so was kann ich nicht, wenn mir die Szene nicht hilft, meine Stimme zu
öffnen. Stimme hängt ja von Stimmung ab, bei mir jedenfalls!
Ihr Terminkalender
wird, wie Sie sagen, vor allem durch den Spielplan der Lübecker Oper
bestimmt. Was erwartet Sie dort?
Ich weiß schon, dass der kommende Herbst sehr
anstrengend wird. Nach meinem Venus-Debüt in Eutin singe ich in Lübeck
zuerst die Fricka und Waltraute in „Walküre“, die Titelpartie in
„Penthesilea“ von Othmar Schoeck (oh Schreck, wieder eine Grenzpartie für
mich!) und die Herodias. Strauss-Partien reizen mich ja alle! Komponist und
Octavian habe ich schon gesungen. Jetzt also Herodias, die Partie ist zwar
tückisch, aber nicht so lang, die lässt sich hoffentlich gut „knacken“.
Orpheus-International, Journal 5 + 6
2008 106