Interviewpartner von Rainer Wulff


 

Spot

Veronika Waldner

Am Anfang stehen immer Zweifel

Die Mezzosopranistin im Gespräch mit Rainer Wulff

 

„Wie komme ich zu dieser Ehre?“ fragt Veronika Waldner, als wir uns zu diesem Interview verabreden. Fast scheint es, als sei die sympathische Mezzosopranistin erstaunt, Gegenstand des öffentlichen Interesses zu sein. Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass die in Kärnten geborene und seit 2003 in Lübeck engagierte Sängerin nicht gerade an Selbstüberschätzung leidet. Im Gegenteil! Sie scheint noch gar nicht bemerkt zu haben, dass sie sich zum glänzenden, über Lübeck hinaus strahlenden Juwel eines Ensembles entwickelt hat, das ohnehin schon mehr als gewöhnliches Stadttheater-Niveau bietet.

Nach dem Studium in Graz und frühen Gastengagements u.a. an der Wiener Staatsoper kam Veronika Waldner 1989 nach Deutschland. Zwei Spielzeiten war sie in Ulm engagiert, anschließend ein Jahrzehnt in Wuppertal. Die Zusammenarbeit mit Pina Bausch, führte sie zu Auftritten an die Opera Garnier in Paris, ans Teatro Carlo Felice in Genua, das Saitama Arts Theatre in Tokio, die Opern in Rom und Turin sowie an zahlreiche deutsche Bühnen. Die u.a. von Josef Loibl, Sena Jurinac und Hanna Schwarz ausgebildete Sängerin interpretierte die klassischen Hosenrollen, bevor sie ins dramatische Mezzofach wechselte. 2004 erregte ihre Brangäne in Lübeck, im gleichen Jahr auch in Hannover, Aufsehen, weil sie sich darstellerisch und stimmlich ins Zentrum des Bühnengeschehens zu stellen wusste. In Hannover sang und spielte sie die internationalen Sängerkollegen an die Wand! „Weltklasse“ attestieren ihr die Kritiker, die von einem „Theaterwunder“ sprachen und ihr eine große Zukunft als Wagnersängerin voraussagten. „Als Fricka mit herrlich klangvollem, scharf charakterisierendem Mezzo“ (Orpheus) trug sie im „Rheingold“ Ende 2007 zum erfolgreichen Start des Lübecker Rings bei. Zweimal wurde Veronika Waldner zur „Sängerin des Jahres“ nominiert, was sich nach ihrem jüngsten Abstecher ins italienische Fach durchaus wiederholen könnte. Denn der Azucena gab sie nie gehörte Farben und fand zu einer raffiniert-eigenständigen Interpretation abseits vom Rollenklischee.

 

War die Azucena, die Sie Ende 2007 nach so viel deutschem Repertoire erstmals gesungen haben, nur eine Art „Versuchs-ballon“?

 

Ja, und mit dem Erfolg hatte ich nicht gerechnet. Knapp davor war das Verdi-„Requiem“ meine erste große Herausforderung im italienischen Fach. Und ich habe mir gesagt: „Oh Gott, das ist ja eine Oper!“ Aber für eine Oper braucht man

In einem festen Engagement hat man wenig Einfluss auf den Spielplan und so ergibt sich zwangsläufig diese Vielseitigkeit. Dabei hatte ich oft das Glück, dass die Verantwortlichen mit Weitsicht die richtigen Rollen für mich im Blick hatten. In Wuppertal verdanke ich Holk Freytag, Friedrich Meyer-Oertel, Dr. Peter Gülke und Ludwig Baum sehr viel für meine kontinuierliche Rollenentwicklung vom Cherubino bis zum Octavian. Dasselbe gilt jetzt in Lübeck Roman Brogli-Sacher und Marc Adam für ihr Vertrauen in meine dramatischen Fähigkeiten.

Apropos Grenzen: Jetzt sage ich Ihnen etwas, was ich noch keinem gesagt habe. Ich habe von Anfang an immer an mir gezweifelt und geglaubt, ich sei nicht geschaffen für diesen Beruf. Ich hatte als Jugendliche extreme Probleme mit meiner Wirbelsäule. Und was braucht man beim Singen? Man braucht eine gerade Luftsäule. Bei mir war sie aber eher schief. Das war mit ein Grund für meine ständige Unsicherheit, selbst  die besten Kritiken konnten mich nicht vom Gegenteil überzeugen. Speziell, wenn ich Herausforderungen hatte, bei denen ich dachte: „Das schaff ich nie!“, habe ich ganz wilde Abstürze erlebt, richtige Depressionen. Dann konnte ich zwei oder drei Monate lang nicht mal „Alle meine Entlein“ singen. Am Anfang war das schrecklich, aber ich habe die tolle Erfahrung gemacht, dass diese ach so harte Theaterwelt dafür Verständnis gezeigt hat. Ich habe nur Reaktionen gehört wie: „Lass‘ Dir Zeit! Denke nicht ans Theater!“ Inzwischen kann ich damit umgehen und ich denke, dass ich nicht die Einzige bin, die so etwas erlebt hat . Die meisten glauben aber, dazu besser schweigen zu müssen,  weil es nicht in den Opernbetrieb passt, in dem man immer zu funktionieren hat.

 

Ist das auch der Grund dafür, dass Sie immer noch in Lübeck singen, obgleich Sie das Potenzial haben, freischaffend und auch in größten Häusern Karriere zu machen?

Ja hier bin ich geschützt und dankbar dafür, dass ich unter optimalen Bedingungen meinen Fachwechsel geschafft habe, in so  wunderbaren Produktionen, mit so guten Regisseuren wie Didier v. Orlowsky, Anthony Pilavachi und Jakob Peters-Messer unter der musikalischen Leitung von Roman Brogli-Sacher, der mich nie unter Druck gesetzt hat und vor einem Publikum, das unser Ensemble auf Händen trägt.

Auch auf Grund meiner familiären Wurzeln bin ich ein Ensembletyp. Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich alleine durch die Welt kutschieren müsste und mit meinem Mann und meinem 10-jährigen Sohn nur per Telefon Kontakt hätte.

 

Übernehmen Sie eine Rolle lieber, weil Sie der Typus interessiert, der Mensch, den Sie interpretieren, oder weil Ihnen die Partie musikalisch in der Kehle liegt und zu Ihnen passt.

Sowohl als auch, aber ich muss vor allem wissen, dass ich etwas wirklich verkörpern kann. Und das hängt natürlich stark von der Regie ab. Nehmen wir den Lübecker „Tristan“ in der Regie von Didier von Orlowsky. Das war toll für mich! Auch in Hannover hat mir die Arbeit mit Joachim Schlömer Spaß gemacht, weil die Personenregie so stark war.  In einer dritten Inszenierung ging aber die Regie so meilenweit an meiner Seele vorbei, dass mir wirklich die Stimme wegblieb. Ich hatte mich drauf gefreut, hatte die Brangäne ja drauf und sagte mir „Wow, das wird sicher gut!“ Aber wir Sänger waren so isoliert, jeder für sich. Ich fühlte mich wie auf einem falschen Planeten. Und dann habe ich mir gesagt: „Sing doch einfach nur und vergiss das Drumherum.“ Aber so was kann ich nicht, wenn mir die Szene nicht hilft, meine Stimme zu öffnen. Stimme hängt ja von Stimmung ab, bei mir jedenfalls!

 

Ihr Terminkalender wird, wie Sie sagen, vor allem durch den Spielplan der Lübecker Oper bestimmt. Was erwartet Sie dort?

Ich weiß schon, dass der kommende Herbst sehr anstrengend wird. Nach meinem Venus-Debüt in Eutin singe ich in Lübeck zuerst die Fricka und Waltraute in „Walküre“, die Titelpartie in „Penthesilea“ von Othmar Schoeck (oh Schreck, wieder eine Grenzpartie für mich!) und die Herodias. Strauss-Partien reizen mich ja alle! Komponist und Octavian habe ich schon gesungen. Jetzt also Herodias, die Partie ist zwar tückisch, aber nicht so lang, die lässt sich hoffentlich gut „knacken“.

 

Orpheus-International, Journal 5 + 6 2008                                            106

Als Ortrud im „Lohengrin“ (Foto Roessler)

 

 

 

 

 

mindestens sechs Wochen Vorbereitungszeit, bei Konzerten geht  das zack-zack-zack. Trotzdem hat mich das Ergebnis sehr befriedigt. Ich habe gemerkt, dass das doch nicht so ganz fern von meiner Stimme ist. Ich glaubte vorher immer, eine deutsche und keine italienische Stimme zu haben. Ich dachte, ich hätte nicht den nötigen Schmelz. Und ich bin Roman Brogli-Sacher, dem Lübecker Operndirektor und GMD so dankbar, dass er mir die Azucena zugetraut hat.

 

 

Hängt ihre Vielseitigkeit damit zusammen, dass Sie einfach neugierig sind, vieles ausprobieren, Ihre Grenzen erforschen und sich nicht in eine Schublade stecken lassen wollen?