Ring-DVD Theater Lübeck Echo-Klassik Preisträger 2012 |
Heidemann, Teem, Müller, Decker, Yang, Jankowski, Busert, Waldner,
Sritheran, Ammann, Haller, Stundyte, Quinn, u. a., Chor und Extrachor
des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck,
Brogli-Sacher; Regie: Pilavachi - Der Ring des Nibelungen |
Ganz nah am Nerv der Musik Mit ihren Produktionen von Wagners „Ring“
lieferten sich Hamburg und Lübeck drei Jahre lang einen Wettstreit. In
der Presse war man sich einig: Lübeck hat mehr zu bieten. Was genau, ist
jetzt en
détail nachzuschauen. Seit kurzem gibt es die
komplette Tetralogie auf DVD. Miquel
Cabruja berichtet.
Mythos Wagner und Entmythologisierung. Das war schon für den Lübecker
Thomas Mann ein Thema. Doch zitiert Regisseur Anthony Pilavacchi weder
„Zauberberg“ noch „Wälsungenblut“, sondern zeigt konsequent, was Wagners
Götter und Helden mit unserem Alltag zu haben. Bei ihm spielt der „Ring“
im konsumfreudigen Milieu machthungriger Neureicher. Die Walküren sind
Kampfpilotinnen, die Riesen grobschlächtige Bauarbeiter, in „Siegfried“
tritt Wotan nicht als Wanderer, sondern als alternder Biker auf - ein
Mann, der offenbar in der Midlifecrisis steckt. In dieser Umgebung
wirken Szenen wie die brutale Ermordung Siegmunds durch Hunding oder die
Vergewaltigung Gutrunes (äußerst beeindruckend: Ausrine Stundyte) durch
Hagens rohe Mannen umso drastischer. Dort wo er sein Konzept bewusst
durchbricht, findet Pilavachi höchst poetische Bilder: Als monströs-adipöser
Goldklumpen ist Drache Fafner die Verkörperung der Geldgier. Die
Brücken, die Pilavachi von der Gesellschaftskritik Wagners zur heutigen
Realität baut, sind tragfähig. Dabei inszeniert er ganz nah am Nerv der
Musik, und trotz konsequenter Vermenschlichung der Charaktere verliert
die Klangwelt Wagners nichts von ihrem faszinierenden – oder wie Mann es
nannte: „abgefeimten“ – Zauber. In Auseinandersetzung mit der
Kapitalismuskritik in Chéreaus „Jahrhundert-Ring“ und Zitaten aus großen
Kinoklassikern wie Stanley Kubricks „Shining“ zeigt Pilavachi sich als
begnadeter Erzähler.
Dirigent Roman Brogli-Sacher geht im besten Sinne
altmodisch mit straffen Tempi, rhythmischer Akkuratesse und Transparenz
an die Riesenpartitur, entlockt dem Lübecker Orchester subtile Details
und schafft auch immer wieder den großen Spannungsbogen. Geradezu
vorbildlich ist die Sängerfreundlichkeit des Dirigenten – so
textverständlich und lyrisch hat man Wagner schon lange nicht mehr
gehört. In der zentralen Partie der Brünnhilde erweist sich die
Amerikanerin Rebecca Teem als ausdrucksstarke und leidenschaftliche
Verfechterin des Regiekonzepts. Große sängerische Momente („Heil dir,
Sonne“) werden jedoch durch unangenehme Schärfen in der Höhe getrübt.
Die beiden Interpreten des Siegfried (Jürgen Müller, Richard Decker)
bleiben hinsichtlich der Dramatik um einiges hinter Teem zurück. Stefan
Heidemann gibt einen differenzierten und zutiefst menschlichen Wotan.
Das Wälsungenpaar wird von Andrew Sritheran und Marion Ammann lyrisch
und anrührend interpretiert. Mit der Diktion eines Muttersprachlers
singt Antonio Yang einen beeindruckend finsteren Alberich.
Gary Jankwoski ist ein imposant gefährlicher Hagen,
Gerard Quinn zeigt einen
lebensechten Gunther mit transvestitischen Neigungen.
Für
vokale Sternstunden sorgt
Veronika Waldner
als leidenschaftlich-besorgte
Fricka und geradezu glühende Waltraute; grandios ihre Szene mit
Brünnhilde in „Götterdämmerung.“
Sicher, an guten „Ring“-Aufnahmen
auf DVD herrscht kein Mangel. Doch diese Lübecker Inszenierung ist eine
echte Alternative zu den Produktionen großer Häuser – und ein
wunderbarer Beweis für den immensen Reichtum der deutschen
Theaterlandschaft.
|
|
LINK: |
http://www.klassika.info/Komponisten/Wagner/Oper/WWV_086/dvdtipps.html |